top of page

82 Prozent würden wieder an einer klinischen Studie teilnehmen

  • Daniel Hammes
  • 23. Okt.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 6 Tagen

Im vergangenen Jahr wurden im Auftrag des Bundesamt für Gesundheit (BAG) schweizweit Teilnehmende an klinischen Studien befragt. Nun liegen die Ergebnisse des INPUT-Projekts vor. Sie liefern nicht nur wertvolle Einblicke in die Frage, wie gesetzlichen Regelungen zur Humanforschung verbessert werden können. Sie sind auch für alle relevant, die selbst klinische Studien durchführen.


INPUT Projekt Flyer
Flyer zur Bewerbung der Teilnahme an INPUT

Das schweizweit gültige Humanforschungsgesetz (HFG) und die dazugehörigen Verordnungen wurden 2014 eingeführt. In den letzten Jahren gab es immer wieder kleinere und grössere Änderungen, so zum Beispiel die Erweiterung um eine neue Verordnung für die Regelung der Forschung mit Medizinprodukten im Jahr 2021, und im vergangenen Jahr eine Teilrevision der weiteren Verordnungen. Unter Einbezug vieler Stakeholder wurden dabei die Erfahrungen der vergangenen Jahre berücksichtigt, um unter anderem den Entwicklungen der Digitalisierung Rechnung zu tragen und die generellen Rahmenbedingungen der Humanforschung zu verbessern.

Nach Verabschiedung der Teilrevision des HFG-Verordnungsrechts (in Kraft seit November 2024) wurde das Eidgenössische Departement des Innern vom Bundesrat mit einer Gesamt-Revision des HFG beauftragt. Auch die Stimmen von Studienteilnehmenden sollen bei dieser Revision berücksichtigt werden.

Das DKF erhielt vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Auftrag, eine schweizweite Befragung durchzuführen und Teilnehmende von klinischen Studien dabei direkt zu ihren Erfahrungen, Beweggründen und Wahrnehmungen während der Studienteilnahme zu befragen. Die Ergebnisse sollen, falls angezeigt, in die Revision einfliessen. Das Projekt wurde von Katja Suter, PhD aus dem Team Koordination & Projektmanagement geleitet. Nun liegen die Ergebnisse vor.



Die wichtigsten Ergebnisse


Nach Abschluss der Erhebung liegen 236 auswertbare Datensätze aus 44 verschiedenen klinischen Studien (70% mit akademischem Sponsor, 30% mit Sponsor aus der Industrie) vor. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass Personen, die eine Teilnahme abgelehnt oder beispielsweise aufgrund von Unzufriedenheit abgebrochen haben, mit dieser Befragung nicht erreicht wurden.


Die wichtigsten Ergebnisse, aufgeteilt in die acht abgefragten Themenbereiche, sind:

Thema 1: Information über die Möglichkeit einer Studienteilnahme

Die meisten Befragten wurden über Gesundheitsfachpersonen oder in medizinischen Einrichtungen auf klinische Studien aufmerksam (insgesamt 71%). Nur wenige erhielten Informationen über Freunde, Medien oder soziale Netzwerke, und aktive Suche spielte eine sehr geringe Rolle (3%). Register für klinische Studien waren den meisten Teilnehmenden unbekannt (79%).

Thema 2: Motivation für die Studienteilnahme und Wahrnehmung von Nutzen und Risiken

Hauptmotivationen waren altruistische Gründe wie die Unterstützung der Forschung sowie erhoffter persönlicher Nutzen durch engmaschige Betreuung oder Intervention. Weitere Motive waren familiäre Vorgeschichte, Neugier und Beitrag zum Gemeinwohl.

Thema 3: Erleben des vom HFG geforderten Aufklärungs- und Einwilligungsverfahrens

Die überwiegende Mehrheit fühlte sich umfassend über Zweck, Nutzen und Risiken informiert und bewertete die schriftlichen Unterlagen als verständlich und hilfreich. Die Länge der Informationen wurde meist als angemessen empfunden, und fast alle Fragen wurden beantwortet. Zusätzliche Medien neben der mündlichen und schriftlichen Information hielten die meisten nicht für notwendig.

Thema 4: Beurteilung der Wichtigkeit verschiedener Aspekte/Themen bei der Aufklärung

Wichtige Aspekte waren vor allem mündliche Information durch das Studienteam, Angaben zum Aufwand, Widerrufsrecht, Datenverwendung, schriftliche Unterlagen und Freiwilligkeit (über 80% Zustimmung). Weniger zentral, aber dennoch mehrheitlich wichtig waren Themen wie Schadensfall, Finanzierung oder Umgang mit Zufallsbefunden. Die meisten Teilnehmenden hatten keine Wünsche nach weiteren oder anderen Themen.

Thema 5: Einschluss, Betreuung sowie Information vor und während der Studienteilnahme

Die Mehrheit der Befragten wusste, wie sie das Studienpersonal bei Fragen erreichen kann (86%) und fühlte sich durch das Team ernst genommen (89%) sowie sicher betreut (86%). Insgesamt wurde die Betreuung durchwegs positiv bewertet, was auf ein hohes Vertrauen in das Studienpersonal schliessen lässt.

Thema 6: Aufwand während der Teilnahme an der klinischen Studie

Die Teilnehmenden gaben mehrheitlich an, ausreichend über den mit der Studie verbundenen Aufwand (85%), die vorgesehenen Untersuchungen und Behandlungen (87%) sowie mögliche Unannehmlichkeiten (79%) informiert worden zu sein. Damit wurden die Informationspflichten zum Ablauf der Studie insgesamt als erfüllt wahrgenommen.

Thema 7: Wahrnehmen der gesetzlichen Schutzmechanismen

Die gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Gesundheit, Würde und Persönlichkeit wurden von 86% als zweckmässig eingeschätzt. Konkrete Verbesserungsvorschläge wurden kaum gemacht, nur vereinzelt gab es allgemeine Unzufriedenheit mit der Gesetzgebung.

Thema 8: Informationsbedürfnis zu der Auswertung und den Ergebnissen der klinischen Studie

Ein Grossteil wünscht sich verständliche, laiengerechte Informationen über Studienergebnisse (68%) und deren öffentliche Verfügbarkeit (65%). Die Mehrheit würde erneut teilnehmen (82%) und die Teilnahme auch Freunden empfehlen (78%), während die Ablehnung einer erneuten Teilnahme vor allem mit Aufwand, Zweifel am Nutzen und fehlendes Vertrauen begründet wurde.


Was bedeutet das für Forschende?


Die Ergebnisse des INPUT-Projekts liefern wertvolle Hinweise darauf, wie klinische Studien aus Sicht der Teilnehmenden verbessert werden können. Diese Erkenntnisse sollten von Forschenden aktiv aufgegriffen und in die Studienplanung integriert werden.


Bessere Auffindbarkeit von Studienangeboten

Ein zentrales Ergebnis zeigt, dass potenzielle Teilnehmende Studienangebote selten eigenständig finden. Die Mehrheit der Befragten wurde über medizinisches Fachpersonal auf Studien aufmerksam, während Studienregister kaum bekannt sind und eine aktive Suche nur selten stattfindet. Aber nicht bei allen Studien reicht die Rekrutierung über das medizinische Personal aus, etwa weil potenziell geeignete Personen noch überhaupt nicht als Patientin oder Patient im eigenen Haus behandelt werden. Daraus ergibt sich die klare Notwendigkeit, dass Forschende selbst initiativ werden müssen, um ihre Studien sichtbar zu machen – etwa durch gezielte Informationskampagnen, die Einbindung von weiteren Kontaktpersonen wie Hausärztinnen und Hausärzten, oder generell durch eine allgemein bessere Auffindbarkeit von Studienangeboten.


Aussreichend Ressourcen für die Betreuung einplanen

Die Motivation zur Teilnahme ist häufig altruistisch geprägt. Gleichzeitig erwarten viele Teilnehmende aber auch Vorteile durch eine intensivere medizinische Betreuung im Rahmen der Studie. Vertrauen und eine positive Wahrnehmung der Betreuung sind dabei zentrale Faktoren, die durch das Studienteam direkt beeinflusst werden können. Eine wertschätzende und empathische Begleitung kann wesentlich zur Teilnahmebereitschaft beitragen. Um das zu gewährleisten, müssen dafür auch ausreichend Zeit und Ressourcen eingeplant werden.


Fokus auf den Informed-Consent-Prozess

Auch die Aufklärung wurde von den Befragten überwiegend positiv bewertet. Schriftliche und mündliche Informationen wurden als verständlich und hilfreich wahrgenommen, wobei insbesondere die persönliche, mündliche Aufklärung durch gut geschultes Studienpersonal hervorgehoben wurde. Forschende sollten diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit schenken und das Aufklärungsgespräch als essenziellen Bestandteil der Kommunikation mit Teilnehmenden für die Vertrauensbildung nutzen. Die Qualität der Informationen und Empathie in diesem Gespräch sind entscheidend.


Studienergebnisse kommunizieren

Nicht zuletzt äusserten viele Teilnehmende den Wunsch nach laiengerechten Informationen über die Studienergebnisse. Eine transparente Rückmeldung ist nicht nur Ausdruck von Wertschätzung, sondern kann auch die Bereitschaft zur erneuten Teilnahme stärken. Forschende sollten daher Wege finden, Ergebnisse verständlich und öffentlich zugänglich zu machen – beispielsweise über Laienzusammenfassungen, die für Studien unter den Verordnungen für klinische Versuche (KlinV) und für klinische Versuche mit Medizinprodukten (KlinV-Mep) seit kurzem ohnehin verpflichtend sind. Dabei empfiehlt es sich, über die blosse Erfüllung gesetzlicher Vorgaben hinauszugehen und die Ergebnisdarstellung gezielt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe abzustimmen und die passenden Kanäle zu wählen.

 

Wir haben mit Bettina Ley, Projektleiterin auf Seiten des Bundesamt für Gesundheit (BAG) darüber gesprochen, welche Schlussfolgerungen das BAG aus der Befragung zieht, wo es Handlungsbedarf sieht und welche Rolle die Eigenverantwortung der Forschenden dabei spielt.


Bettina Ley (BAG)
Bettina Ley (Bundesamt für Gesundheit, BAG)


«Die Forscherin, der Forscher ist die zentrale Figur im Studiensetting.»









Lesen Sie das Interview mit Bettina Ley vom BAG

Was sind aus Sicht des BAG die zentralen Erkenntnisse der Befragung – und gab es Überraschungen?

Die wichtigste Erkenntnis für das BAG ist, dass es gelungen ist, Studienteilnehmende tatsächlich zu erreichen und ihre Erfahrungen zur Teilnahme an klinischen Studien zu erfragen. Denn wir hatten anfänglich Bedenken, ob wir überhaupt bis zu den Teilnehmenden durchdringen würden. Umso mehr freut es uns sehr, dass im Rahmen der Befragung über 230 Personen den Fragebogen ausgefüllt haben. Eine Überraschung war, dass viele Teilnehmende den Papierfragebogen bevorzugt haben. Das deutet darauf hin, dass «Digital Only» nicht immer der beste Weg ist – trotz zunehmender Digitalisierung im Bereich der klinischen Forschung.


Wo besteht aus Sicht des BAG der grösste Handlungsbedarf für bessere Teilnehmenden-Erfahrungen? Wie kann die Gesetzgebung dazu beitragen, bessere Bedingungen zu schaffen?

Da nur Personen kontaktiert werden konnten, die aktiv an einer Studie teilnahmen und daher vermutlich zufrieden mit ihrer Teilnahme waren, ist es schwierig festzustellen, was aus Sicht der Teilnehmenden nicht gut läuft bei klinischen Studien. Dazu müsste man Personen befragen, die ihre Teilnahme verweigert oder abgebrochen haben. Eine Kontaktaufnahme mit diesen Personen ist in der Praxis aber mit grossen Hürden behaftet. . Erstaunt hat uns der Befund, dass nur wenige Personen über das Internet eine passende klinische Studie gefunden haben. Hier sollte die Kommunikation verbessert werden, um auf das Studienregister www.humanforschung-schweiz.ch aufmerksam zu machen, wo Personen nach klinischen Studien in der Schweiz und in benachbarten Ländern suchen können.


Das BAG fühlt sich durch die Resultate der Befragung bestärkt, dass die Pflicht zur Veröffentlichung von Studienergebnissen in verständlicher Sprache wichtig ist. Diese Pflicht wurde in der Verordnungsrevision von 2024 bereits umgesetzt und wird auch bei der HFG-Revision wieder ein Thema sein.


Wie fliesst INPUT konkret in die laufende HFG-Revision ein, und wie wird die Perspektive der Teilnehmenden noch eingebunden?

Die Ergebnisse der Befragung fliessen in die Überlegungen ein, die wir im Rahmen der Revision anstellen, beispielsweise zur Veröffentlichung von Studienergebnissen und zur Durchführung dezentralisierter Studien.

 

Bei der Veröffentlichung der Studienergebnisse stellt sich die Frage: sollte die Pflicht zur Veröffentlichung auch für andere Forschungsprojekte und nicht nur für klinische Versuche gelten? Bei der Durchführung von dezentralisierten klinischen Versuchen stellt sich die Frage: wie lässt sich der persönliche Kontakt mit der Studienärztin, dem Studienarzt, der gemäss der Befragung den Teilnehmenden sehr wichtig ist, unter dezentralisierten Settings bestmöglich sicherstellen?

 

Die Perspektive der Teilnehmenden werden wir wo immer möglich versuchen in die Revision mit einzubinden, beispielsweise durch den Einbezug von Betroffenen-Vertreterinnen und -Vertretern in der Begleitgruppe der HFG-Revision und durch die Rückmeldungen aus der öffentlichen Vernehmlassung.


Welche Verbesserungen für Studienteilnehmende liegen in der Verantwortung der Forschenden selbst – unabhängig von gesetzlichen Vorgaben

Die Forscherin, der Forscher ist die zentrale Figur im Studiensetting. Er oder sie stellt die direkte Bezugsperson für die Studienteilnehmenden dar und muss sicherstellen, dass sich die Studienteilnehmer/-innen während ihrer Teilnahme wohl, sicher und respektiert fühlen und ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Solche Aspekte lassen sich nicht eins zu eins in ein Gesetz schreiben. Sie haben aber eine grosse Wichtigkeit und sind letztendlich für die Rekrutierungs- und Bindungsrate massgebend.



Fazit


Die Ergebnisse des INPUT-Projekts zeigen deutlich: Personen, die an klinischen Studien teilnehmen, sind in der Regel mit dem Ablauf zufrieden und engagieren sich häufig aus altruistischen Motiven. Das ist sehr erfreulich, dennoch besteht ein klarer Bedarf an besserer Information – sowohl zur Möglichkeit der Teilnahme als auch zu den Ergebnissen der Studien. Teilnehmende möchten verstehen, wozu sie beitragen, und erwarten Transparenz, Wertschätzung und eine professionelle Betreuung.


Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bieten bereits viele Schutzmechanismen, doch deren praktische Umsetzung liegt in der Verantwortung der Forschenden selbst. Die geplante Revision des Humanforschungsgesetzes eröffnet die Chance, die Perspektive der Teilnehmenden noch stärker zu berücksichtigen und die Bedingungen weiter zu verbessern.




bottom of page